Das große GEGENÜBERPROBLEM
Melanie Ohnemus
Zur Ausstellung Die Hose paßt ausgezeichnet, Salzburger Kunstverein, 2006
Keiner soll sagen, er hätte noch nie etwas gesehen, was nichts war und doch etwas ist. Es war etwas sehr schönes, verzückendes tauchte auf in einem Augenblick, starrte einen an, produzierte Gewichtigkeit. Aus unerfindlichen Gründen.
Dieses feine Band, das hier, wie Deleuze sich ausdrückt, zwischen einem Wesen, den Dingen oder Dingzuständen geknüpft wird, entsteht aus dem Erleben einer Differenz, dessen Zwischenraum durch das Geheimnis der Ereignisse angefüllt ist;
Sie verführen uns, tauchen an die Oberfläche sprechen zu uns ohne den erkennbaren Versuch, etwas gesagt zu haben. Es geht hier wohl mehr um eine momentane Koexistenz. Mit Sinnfragen ist hier nicht viel zu holen.
Und dennoch bereitet es ungemeines Wohlbehagen sie zu erkennen, sie zu erblicken. Die Besucher auf der spiegelnden Innenseite von Chipspackungen der Marke Kellys. Sie tauchen auf aus den Tiefen, gleiten von rechts nach links und anders herum aus den Tiefen der Erde: flache Tiere und andere Wesen, pastellfarben gekleidet. In unbegrenzten Anordnungen rutschen sie über spiegelnde Flächen, reißen ihre Mäuler auf und haben nur einen Flügel. Und wenn es hinter dem Vorhang nichts zu sehen gibt, dann deshalb, weil das Sichtbare oder eher das ganze mögliche Wissen eben die Fläche des Vorhangs ist und es ausreicht. - oberflächlich genug, zu folgen, um die Rückseite hervorzukehren.
Jedenfalls ist es erstaunlich, dass diese Dinger, diese „Sachen“ zu uns überhaupt Kontakt haben, denn es ist ja überhaupt nicht klar, wer hier wie zu wem den Kontakt überhaupt sucht, oder herstellt. Und wozu? sollte man nicht lieber den Blick abwenden, und die Dinge allein vor sich hintanzen lassen? Dem Ding einen Strich drunter ziehen und keine Lücke offen lassen? Grenzen erkennen und ziehen? und sich nicht in der Dualität des Begehrens, das sich am Objekt kristallisiert, verlieren? (oder ist es vielleicht auch ein Duell?)
Lacan gibt hier die einfache und ernüchternde Antwort: Es gibt keine Verdrängung ohne Wiederkehr des Verdrängten. Das heißt, dass die Logik des Begehrens uns anhaftet. An dieser Stelle kann man die bekannte Lacansche Dialektik des Auges und des Blickes entfalten: in dem was wir sehen, steckt immer ein Punkt, von dem aus uns das Bild selbst ansieht, eine Stelle, an der wir selbst schon in das Bild eingeschrieben sind. Im Bild gibt es immer einen „Fleck“, wo ich „nichts sehe“, gerade weil mich von dort das Bild selbst ansieht. Lacan zeigt hier, dass dem Subjekt, das in der Illusion lebt, es beherrsche die Sphäre der Gegenstände um sich, diese Stelle in der man „nichts sieht“ einen Strich durch die Rechnung macht. Genau diese Stelle, sei es eine winzige Bewegung, ein Geistesblitz, eine Farbe, ein Wort, oder der Klang eines Worts, zeigt sich als Symptom, das uns zuruft: dieses Detail umrahmt die Stelle und strukturiert den Horizont, innerhalb dessen die Dinge für dich Bedeutung haben! Das ist das grundlegende Paradoxon: dass sich unter den Elementen einer Menge immer wenigstens ein Element befindet, das innerhalb dieser Menge die „Färbung“ der ganzen Menge überdeterminiert. Es handelt sich somit um die Entstehung und das Bekommen eines Mehrwerts. Dieser Mehrwert besitzt aber nun keinen offensichtlichen Gebrauchswert. Viel eher ist er eine Art „Überschuss“ oder „Rest“, der sich nach Lacan als „Genießen“ (la Jouissance) bestimmen lässt. Der Mehrwert eines irgend hervorstechenden Symptoms ist also nur für die Lust allein da. Schwer zu akzeptieren für einen Analytiker. Denn auch Zizek sagt hierzu:
Das Genießen ist in seiner Blödsinnigkeit nur aufgrund eines Nicht-Wissens möglich.
Das heißt, wenn man um die Dialektik des Begehrens weiß, hat man die Chance auf ein ruhiges Genießen theoretisch schon vertan.
Dieser Konflikt lässt sich aber in sofern umschiffen, wenn man die Wortwörtlichkeit der Dinge annehmen kann. Das heißt, insofern wäre man gerettet, wenn man akzeptieren könnte, dass sich der Mehrwert des Unmittelbaren nicht in den Vertiefungen der Bedeutungen, sondern in der Entfaltung der Ereignisse an der Oberfläche finden lässt. Entgegen der alten Ironie als Kunst der Tiefen und der Höhen ist der Humor diese Kunst der Oberfläche.
Die herabhängenden Zungen (o.T., 2006) geben ein Zeugnis davon. Sie bilden ein ungleiches Gegenüber, stille Zuhörer der eher zahlenmäßig schon überlegenen und beweglicher erscheinenden „Besucher“ auf der Chipstütenspiegelfolienoberfläche.
Selbst wenn es im Sinne eines hermeneutischen Vorgehensweise möglich wäre, den Rahmen hier bei diesen Arbeiten passend drum herum zu legen und zu sagen: hier auf dieser Seite sehen wir abstrakte Malerei, und dort auf der anderen Seite sehen wir Konzeptuellen Minimalismus wäre uns nicht geholfen, und mir nicht zu helfen. Und man sollte vielleicht gar nicht weiter sprechen. Was hier viel eher mit an die Hand zu geben wäre ist der Gedanke, dass hier eine Potenzierung auf der Oberfläche stattfindet:
Hier handelt es sich nicht mehr um die Ironie des Subjekts angesichts einer objektiven Ordnung, sondern um die objektive Ironie der Dinge, die von ihrem eigenen Spiel vereinnahmt sind. Frei von Strategie potenzieren sich hier die Dinge nach ihrer eigenen Manier, entgehen rückhaltlos ihrer eigenen Dialektik und einer Verkettung des Sinns, um sich in einen Prozess delirierender Assoziationen zu stürzen.
Eine weitere großartige Unterhaltung findet statt um 20:30, wenn der Dialog „Die Hose paßt wirklich ausgezeichnet“ hier zur Aufführung kommt.
Ausstellung
Lisa Holzer
Die Hose paßt ausgezeichnet
Eröffnung: 7. Dezember. 2006, 19 Uhr,
20.30 Uhr: Performance
Es sprechen Kristina Haider und Christian Egger
Die Hose paßt ausgezeichnet sagt Thomas Bernhard als Thomas Bernhard in einem seiner Dramolette. Der Satz kam mir dazwischen bei meinen Titelüberlegungen, die dahin gingen den Titel als eigenständigen Teil der Ausstellung zu betrachten und nicht als Be- oder Umschreibung dessen was zu erwarten wäre, und blieb, weil er nur aber doch gewissermaßen im vorbeigehen etwas mit dem zu tun hat worum es hier gehen soll. Mein Problem und Thema der Ausstellung (die auch sehr viel will) ist das Gegenüber bzw. sein Fehlen. Oder sein sich Vorgaukeln und wieder Entziehen sowie seine unendlich vielen Verkleidungen, und daß es sich oft selbst nicht als Gegenüber von einem erkennen will. Gedanken an Gogols Nase und Nietzsches geliebte kleine Ohren spielten dabei ebenso in die Ausstellungsvorbereitungen rein wie Überlegungen zum „theologischen Mucken“ der Ware, oder die Frage wem nun das objet petit a* eigentlich gehört. In Die Hose paßt ausgezeichnet sind 5-6 abstrakte Fotografien aus zwei verschiedenen Serien zu sehen. Die Bilder aus der Serie Besuche 2005 sind Fotos freier, performativer Erscheinungen, Reflektionen auf der leeren silbernen bzw. goldenen Innenseite einer Packung Kelly’s Chips, die mich immer auch wegen ihres merkwürdig vielen Rosa überraschen und mich jedes Mal an die Zuschreibung eines „theologischen Muckens“ der Ware erinnern. Die Bilder denke ich als Protagonisten. Sie werden am Eröffnungsabend im Zuge einer Performance miteinander sprechen. Ihnen werde ich 1-2 Bilder aus der Serie o.T. 2006 als stille Zuhörer gegenüber stellen. Ihre Unterhaltung wird sich neben dem großen Gegenüberproblem und dem Hadern mit den Worten, der Sprache die Verbindung herstellen könnte, um folgendes drehen: frei zu sprechen, die dritte Person, das scharfe S, neue Hosen, Karottenprogramme, die Südsee, den Nachmittag, Farbverzicht, Kunstfolgen, Es sein zu lassen und was Brezellogik sein könnte. Einen freien Geist, Unberechenbarkeit habe ich immer für die anziehendste Eigenschaft eines richtigen Gegenüber gehalten. Wie bei meinen anderen Arbeiten geht es auch hier nicht zuletzt um den Geist als paradiesischen Handlungsraum, also den Versuch von Freiheit zu sprechen.
Text: Lisa Holzer
Lisa Holzer: geb. 1971, lebt und arbeitet in Wien. Sie ist Förderpreisträgerin des Salzburger Kunstvereins und des Landes Salzburg 2005.
*nach Lacan ist das objet petit a die Objektursache des Begehrens. vgl. auch Zizek in Parallaxe, Suhrkamp, 2006: ‚Nicht nur ändern sich seine Konturen mit der Veränderung des Subjekts, es existiert ausschließlich - seine Gegenwart kann nur dann erkannt werden -, wenn die Landschaft aus einer bestimmten Perspektive betrachtet wird. Präziser ausgedrückt ist das Objekt a die eigentliche Ursache der parallaktischen Lücke, ist jenes unergründliche Etwas, das sich dem symbolischen Zugriff ständig entzieht und so die Vielfalt symbolischer Perspektiven verursacht.’